Der Freund der Toten von Jess Kidd

Mai 23, 2017






(Original: "Himself" / 2016) DuMont Verlag, Übersetzer/in: Klaus Timmermann und Ulrike Wasel (aus dem Englischen), 384 Seiten, gebunden,  ★★★(★) 3 bis 4 Sterne 
"Der charmante Gelegenheitsdieb und Hippie Mahony glaubte immer, seine Mutter habe ihn aus Desinteresse 1950 in einem Waisenhaus in Dublin abgegeben. Sechsundzwanzig Jahre später erhält er einen Brief, der ein ganz anderes, ein brutales Licht auf die Geschichte seiner Mutter wirft. Mahony reist daraufhin in seinen Geburtsort, um herauszufinden, was damals wirklich geschah. Sein geradezu unheimlich vertrautes Gesicht beunruhigt die Bewohner von Anfang an. Mahony schürt Aufregung bei den Frauen, Neugierde bei den Männern und Misstrauen bei den Frommen. Bei der Aufklärung des mysteriösen Verschwindens seiner Mutter hilft ihm die alte Mrs Cauley, eine ehemalige Schauspielerin. Furchtlos, wie sie ist, macht die Alte nichts lieber, als in den Heimlichkeiten und Wunden anderer herumzustochern. Sie ist fest davon überzeugt, dass Mahonys Mutter ermordet wurde. Das ungleiche Paar heckt einen raffinierten Plan aus, um die Dorfbewohner zum Reden zu bringen. Auch wenn einige alles daran setzen, dass Mahony die Wahrheit nicht herausfindet, trifft er in dem Ort auf die eine oder andere exzentrische Person, die ihm hilft. Dass es sich dabei manchmal auch um einen Toten handelt, scheint Mahony nicht weiter zu stören … "


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Mulderrig ist ein Dorf wie kein anderes. Hier sind die Farben ein kleines bisschen leuchtender, und der Himmel ist ein kleines bisschen weiter. Hier sind die Bäume so alt wie die Berge, und ein klarer Fluss fließt ins Meer. Seine Einwohner bleiben von Geburt an hier, bis sie sterben. Wieso sollten sie auch, wo doch alle Straßen, die nach Mulderrig führen, bergab gehen, sodass das Fortgehen anstrengend und mühsam wäre?“  S.10

Mit der sich letzten schließenden Seite des Romans, endete sicherlich nicht meine Gedankenkette, die sich verselbstständigt hat. So bunt und exotisch das Cover wirkt, so ist auch die Geschichte mit diesen Adjektiven gut getroffen. Die Charaktere sind sehr vielseitig. Sie verbergen alle etwas Persönliches von den anderen Bewohnern und unter ihnen befindet sich nun gleichzeitig ein "Neuankömmling", der Protagonist Mahony. Erzählt wird hier einerseits aus seiner Gegenwart (ab April 1976), wie auch aus Kapiteln, welche die Vergangenheit erläutern (1950). Ich muss zugeben, dass mir die Figuren an sich und auch im Kollektiv des Dorfes gut gefallen haben, da sie einfach aus üblichen Büchern herausstechen. Allerdings fiel es mir zum Ende hin merkwürdigerweise zunehmend schwieriger die Schicksale und Merkmale der Figuren auseinanderzuhalten.
Zu Beginn des Buches ist man durchaus schon ab der ersten Seite gebannt, da man "Augenzeuge" eines Verbrechens wird. Schlussfolgernd lassen sich daraus auch neue Hinweise, aus den noch bevorstehenden Kapiteln, neu zusammensetzen. Natürlich ist man als Leser auch durchaus angetan, selbst der wahren Lösung auf die Spur zu kommen. 
Obwohl sich die Suche nach der Wahrheit nicht gänzlich als Fokus zurückstellt, fiel mir als Leserin vor allem die Sprache (in Anbetracht der Übersetzung) auf. Alles ist sehr bildlich beschrieben, sodass man sich förmlich selbst in diesem irischen Dorf befindet, welches zusätzlich ein Urwald-Gefühl heraufbeschwört und durch sehr fantasievolle, wie auch teilweise märchenhafte Einschübe besticht. Diese Eindrücke entstehen sicherlich vor allem und auch gezielt durch die Komponente der Fähigkeit des Protagonisten, Tote Lebewesen (Menschen wie auch Tiere) wahrzunehmen. Es entsteht also ein etwas unheimliches Gefühl, welches sich während des gesamten Romans nicht verflüchtigt. 
Die Atmosphäre des Romans ist sehr eigensinnig, da man das Gefühl hat, dass er tatsächlich ein Eigenleben hat. Naturbeschreibungen stehen oftmals im Vordergrund, Wetterverhältnisse werden als Omen gedeutet und natürlich nimmt dies Einfluss auf die Handlung, aber irgendwie verschmilzt dieses Gefühl mit der Annahme, dass das Buch eine ganz besondere Wirkung auf den Leser ausübt, undzwar losgelöst von den Geschehnissen.

"Wenn sie sehen könnten, was ihm folgt, tja, dann würden sie sich nicht über das Tempo seiner schritte wundern. Die Toten zieht es nämlich zu denen, deren Herz gebrochen ist.“  S.238

Bis zur letzten Seite hielt mich der Roman also in seinen Fängen. Wie bereits angedeutet zum einen durch den Sprachstil, zum anderen aber natürlich auch durch die sehr kuriosen Einfälle, Figuren, aber auch spannenden Komponenten. Dieser "Krimi-Aspekt" wirkte für mich zeitweise fast so wie eine Runde des Spiels "Cluedo", allerdings kann ich gar nicht sagen, in wieweit mir diese Mischung aus ernster Vergangenheitsbewältigung und neuzeitlicher Sherlock Holmes Ermittlung gefallen hat. Sicherlich passt dieser Bruch ganz gut, um die Erzählung nicht zu schwer wirken zu lassen, an manchen Stellen fragte ich mich aber leider auch, ob dadurch nicht eine gewisse Ernsthaftigkeit verloren ging, die durchaus in vielen Passagen vorhanden ist.
Das Buch hat meine Meinung also durchaus gespalten. Ebenso fand ich einige Einschübe, bezüglich der Besonderheit des Protagonisten recht unschlüssig. Eine seiner Affären blieb irgendwie im Raum hängen und hatte für mich eher den Effekt, dass man sich als Leser fragt, worauf der Text nun hinaus möchte. Ebenso hadert man manchmal mit etwas grausamen Schilderungen von Tiertötungen. Andere Einfälle wiederum konnten mich aber auch begeistern. Die Darstellung der "Totenwelt", die sich stark mit der der Lebenden vermischt, ist wirklich gut umgesetzt, vorausgesetzt man hat als Leser keine Schwierigkeiten damit, sich von gewissen Grenzen loszureißen.
Die Gefühlswelt an sich blieb für mich etwas distanziert, da ich mit Mahony als Protagonist nicht gänzlich sympathisieren konnte. Andere Figuren hingegen, wie zum Beispiel das Mädchen Ida, sorgen dafür, dass man durchaus eine nähere Verbindung zu den Schicksalen aufbauen kann. So paradox es klingt, wird zwischen den düsteren Geheimnissen der Bewohner auch mit sehr lustigen Einschüben gespielt. An der ein oder anderen Stelle musste ich tatsächlich grinsen, wobei ein "Gag" meiner Meinung nach auch etwas zu ausgeschlachtet wurde.


"Mahony runzelt die Stirn. ´Wollen Sie damit sagen, ich soll aufhören, Fragen zu stellen?´

          ´Ich will damit sagen, dass dir die Antworten vielleicht nicht gefallen werden." S.119

Der Roman lässt sich gar nicht so recht griffig kategorisieren, weil er Bestandteile aus verschiedenen Genres, Themen und skurrilen Überlegungen beinhaltet. Als langweilig empfand ich ihn zwar absolut nicht, allerdings traten bei mir durch die sehr vielen Charaktere und Vergangenheiten einige Verwirrungen hinsichtlich der eigentlichen Bedeutung auf. Grundsätzlich ist der Roman eher düster, er spielt mit den Grenzen des Vorstellbaren, besteht aus dennoch witzigen Passagen und versucht gleichzeitig einen scheinbar vertuschten Mord aufzudecken. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich es daher zu überladen fand und mich eher von den eigentlichen Ideen und Formulierungen habe beeindrucken lassen, oder ob die Autorin hiermit wirklich etwas ganz Neues geschaffen hat, das dieses Überladene einfach braucht, um die Erzzählung lebendig zu machen.

























Vielen Dank an den DuMont Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!


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